Aus der Ferne — von der Unverständlichkeit der Heimat.
Einwanderungsland Europa
Wenn von Seiten der Globalisierer gefordert wird, Europa möge ein
Einwanderungsland werden, etwa wie die USA, dann gibt das einen guten
Hinweis darauf, was uns erwartet. Wie in den USA seit jeher ein
deutlicher Widerspruch zwischen dem Amerikanischen Traum und der
amerikanischen Wirklichkeit besteht, und die ethnischen Konflikte nach
wie vor weiter eskalieren, so beobachten wir, wie Renaud Camus so
schön feststellt, auch hier in Europa, dass sich die ethnischen
Gruppen der Einwanderer über die Jahrzehnte eher abschotten denn
integrieren. Schon die Ausgewanderten in der Neuen Welt haben
regelmäßig geschlossene Gemeinschaften gebildet, wenn sie in Massen
kamen. In der Ferne bewahrt man die Eigenarten des Herkunftslandes mit
besonderem Eifer. Augenscheinlich genügt es nicht jede Menge Freunde
und Verwandte dabei zu haben, der Ortswechsel selbst bringt einen
Mangel mit sich, der ausgeglichen werden muß. Offenbar ist das
menschliche Sensorium feiner als es den Globalisierern recht ist. Wir
sehen beispielsweise noch heute in Venezuela Dörfer mit überwiegend
deutscher Bevölkerung, die uns wie eine Volkstanzgruppe
anmuten (Tovarer).Warum werden so deutliche Zusammenhänge von der Elite der Globalisierer
und ihren privilegierten Kindern, den Multikulturalisten nicht
verstanden?
Wir können vermuten, dass es einfach ignoriert wird, weil
es nicht in den Kram paßt, doch soll man niemals bösen Willen
unterstellen, wo auch Unfähigkeit eine Erklärung bietet. Vielleicht
ist das ja der Fall, und das globalistische Milieu erzeugt eine
spezifische Betriebsblindheit.*
Zwei Hinweise darauf, wie universalistische Erklärungsmodelle
entstehen, und warum auch sie von den historischen Bedingungen ihres
Entstehungsortes bestimmt sind, finden wir in Mario Erdheims Buch „Die
gesellschaftliche Produktion von Unbewußtem“ und in Hermann Bausingers
Aufsatz aus dem Jahr 1995. Mario Erdheim gibt einen Eindruck davon
warum die Psychoanalyse nur im Wien des fin de siécle entstehen
konnte. Es sei die spezielle Gemengelage von einer recht starken,
wohlhabenden Oberschicht in einem Klima von Ästhetizismus und
Dekadenz, die immer weniger von Aufklärung und Naturwissenschaften
hält und sich dafür lieber mit allerlei okkulten Themen beschäftigt,
und gleichzeitig des relaitve (?) Laissez Fair der K.u.K. Monarchie, die es
dem aufstrebenden Arzt aus eher unterpriveligiertem Hause ermöglicht
seine Thesen an den Klienten zu bringen. Nadig und Erdmann weisen auf
die bekannte Ähnlichkeit der zeitgleiche Novellen von Arthur
Schnitzler mit den Themen Freuds hin. Wir sollten auch auf die
Bedeutung seiner eigenen Traumtagebücher für die Entwicklung von Freuds
Theorie achten. Das ist alles recht spezifisch. Was nimmt es da
Wunder, wenn die Psychoanalyse beim Blick auf exotischen
Fundamentalismus zirkulär wirkt und fehlende Falsifizierbarkeit
schmerzlich zu Tage tritt. Es scheint mir angezeigt, gerade bei
Deutungsmustern die evident erscheinen die Möglichkeit in Betracht zu
ziehen, dass die örtlichen und kulturellen Umstände ihres Entstehens
bei dieser Selbstevidenz eine Rolle spielen.
Genau das stellt Hermann Bausinger fest, wenn er sagt „Zur Problematik
[dieser] universellen Identität gehört, dass nicht nur die
Konkretisierung einer kulturspezifischen Brechung unterliegt, sondern
dass möglicher Weise auch das Prinzip, der universalistische Gedanke,
kulturspezifisch ist.“¹
Ahnungslose Weltbürger
Was dürfen wir unter kulturspezifisch verstehen? Für einen Ethnologen,
und Hermann Bausinger ist Ethnologe, ist Kultur ein ständig
reproduziertes Deutungsmuster, das wiederum die daran beteiligte
Gruppe als Träger dieser Kultur ausweist. Diese übereinstimmenden
Deutungsmuster werden internalisiert, bestimmen Sprache, Gestik und
eben auch das Denken und Handeln. Den Trägern der jeweiligen Kultur
Zugehörigen bietet dies den Vorteil weniger erklären zu müssen. Wir
kennen das aus dem Bereich der Subkulturen, wo Fachwissen
Zugehörigkeit bestimmt. Das klassische Beispiel ist die Frage, ob ein
Fußballfan dem anderen die Abseitsregel erklären muß oder nicht.
Fußball macht nur Spaß, wenn der Fan es nicht erklären muß, unabhängig
davon ob er es könnte, oder nicht. Innerhalb einer homogenen Kultur
brauche ich auch nicht darüber nachzudenken, ob ich jetzt nach einer
Semmel, einem Brötchen oder einer Schrippe frage. Soviel als Andeutung
inwieweit Sprache, Herkunft und Kultur bestimmen wer wir sind. Ich
gehe hierbei von dem klassischen Ansatz aus, dass eine Persönlichkeit
danach bestimmt wird, was sie tut. Das heißt die Persönlichkeit wird
anhand ihrer Handlungsweisen und Gewohnheiten bestimmt, aus denen wir
auch ihre Herkunft ableiten.
Hier werden notwendige Unterscheidungen getroffen, hier erkennt die
Ethnologie den so wichtigen Blick des Fremden auf das Eigene und
umgekehrt. Innerhalb der Kultur hat die jeweilige Persönlichkeit also
den Vorteil sich leichter, und selbstverständlicher auszutauschen.
Wenn wir Ulf Hannerz folgen und feststellen, daß es (noch) Orte mit
einer weitgehen einheitlichen Kultur gibt, dann genießen ihre Bewohner
einen Vorteil durch die Selbstverständlichkeit in der sie leben. Dann
wird auch klar, warum diese Bewohner der Selbstverständlichkeit kein
Interesse daran haben, in die ständige Erklärungsnot des
Multikulturalismus gestoßen zu werden. Sie beklagen dann der Verlust
ihrer Heimat, was ihnen Hohn und Verachtung seitens der weltläufigen
Elite einbringt. Was sei das denn für ein gamsbärtiger Begriff
„Heimat“? Natürlich fehlen den mit politischem Neusprech eloquent
überrumpelten Eingeborenen dann die Worte, haben sie doch die Sprache
der Zersetzung nie gelernt.
Die Deutungsmuster innerhalb einer Kultur sind implizit, und es ist
eher die Aufgabe des Ethnologen, des fremden Beobachters per
definitionem, die Begriffe zu explizieren, sie sorgfältig
heraus zuarbeiten, den Kulturträgern sind sie selbstverständlich. Die
jeweilige, kulturelle Kompetenz erleichtert — wie gesagt — den Trägern der
jeweiligen Kultur das Leben. Genau dies kann mit Hilfe des
Taschenspielertricks der Dekonstruktion bequem übersehen werden. Wir
können feststellen, dass so ein Berauben der eigenen Sprache für die
Linke eine schlimme Sache ist, wenn sie von Kultur- und anderen
Imperialisten gegenüber farbigen Minderheiten betrieben wird,
gegenüber Deutschen zum Beispiel ist es hingegen nicht nur billig
sondern notwendig. Wieder einmal gerät der Universalismus zum
historischen Widerspruch, der in der Frankfurter Theologie jede Untat
rechtfertigt.
Wir könne dieser Sprachlosigkeit der Heimatverbliebenen indes
abhelfen. Dazu wird es notwendig sein Heimat in in den Jargon der
Globalisierer zu übersetzen. Dies will ich versuchen, und dazu will ich
ein Verständnis dieser Elite aufbauen. Ich bin so frei auch die
Protagonisten der Globalisierung und des Multikulturalismus als Träger
einer gewissen Kultur zu sehen, die ihrerseits einen ganz bestimmten
Nährboden brauchen, um zu gedeihen.
Sprachlose Ureinwohner
Der Gestus der Multikulturalisten deutet an, dass es ein universales
Substrat gibt, nämlich das der Metropole, in welche all die armen
Leute aus der Peripherie strömen sollen und können. Zugleich wird sie,
unter falscher Interpretation Mc Luhans, auch gerne Globales Dorf
genannt, was einen Hinwies auf den geistigen Horizont ihrer
Befürworter gibt. Wie gelangt man zu solch einer Vorstellung?
Vielleicht liegt es an den eigenen Gewohnheiten und
Selbstverständlichkeiten. Wir sehen uns als Flaneure auf den
Boulevards der Metropole und genießen es, wie all die vielen Fremden an
uns vorüberziehen.
Wir stellen fest, dass es eben die Kompetenz im Umgang mit dem
Abstand, um nicht zu sagen, der Entfremdung ist, die uns in die Lage
versetzt zu beobachten. Das Handeln in dieser so gesehenen Metropole
ist dann tatsächlich kaum an Vertrautheit mit dem Jeweiligen gebunden,
sondern erfordert lediglich eine gewisse, nun tatsächlich universale,
Gewandheit im Umgang mit der Indifferenz.
Darin liegt natürlich auch eine beträchtliche Unzulänglichkeit, welche
die Multikulturalisten als Elite zu überspielen gelernt haben. Dazu
definieren sie sich als Weltbürger, welche den Moment des Flanierens
auf den Boulevards der Metropolen für ihr ganzes Dasein ausgeben.
Der Weltbürger, wie Lion Feuchtwanger ihn von seinem Flavius Josephus
besingen läßt, konsumiert die Vielfalt der vielen fremden Welten als
Zuschauer. Wir finden dies ebenfalls in den Charakteren Woody Allens,
deren dauerndes Ringen um die Selbstverständlichkeit sie dazu zwingt
sich und ihre Umwelt laufend zu zergliedern und zu erklären.
Irgendwann bemerken sie dies, und fangen an Witze darüber zu machen.
Das Dasein des Weltbürgers als trauriger Clown hat komödiantisches
Potenzial, und auf der Bühne und der Leinwand ist das auch
unterhaltsam. Doch diese Liebeserklärungen an die Metropole haben das
bittere Aroma unerwiderter Liebe, es sind Hymnen an eine grausame
Schöne. Die Apologeten des Multikulturalismus ereignen sich in
Augenblicken einer melancholischen Nostalgie für eine Gegenwart, von
der sie ausgeschlossen sind. Sie sind nur mehr Voyeure der
Selbstverständlichkeit anderer, wenn sie da die Hood, das Ghetto, oder
den Kiez bestaunen, welche ja, jedes für sich, zwar ihr Bestandteil,
aber nicht die Metropole selbst sind.
Das ist etwas anderes als die teilnehmende Beobachtung des
Ethnographen, die ein Einlassen auf die jeweilige Kultur der
Beforschten fordert. Darüber hinaus hat Ethnologie den Begriff des
„going native“ geprägt, des Umstands, dass der Forscher so sehr in
seinem Feld aufgeht, dass er sein Verständnis für die Akademie
verliert, und auch dort nicht mehr verstanden wird, eben zum
Eingeborenen wird. Ein Phänomen, dass bemerkenswerter Weise, nur bei
Einzelnen auftritt, und diese aus ihrer ursprünglichen Kultur so sehr
herauslöst, dass sie dort eben nicht mehr verstanden werden, und auch
nicht mehr verstanden werden wollen. Hier sehen wir wohl auch das,
was Renaud Camus meint, wenn er sagt, dass Frankreich zwar immer
Einzelne aufgenommen hat, die es geliebt haben, doch nie ganze Völker.
Das ist etwas mehr als ein Sprachkurs zu bieten vermag, und auch mehr
als die Meisten vernünftiger Weise zu leisten gewillt sind. Wenn man
nicht gerade Ethnograph ist braucht es eine ganze Menge, um Leute aus
ihren angestammten Bedeutungsmustern und Gewohnheiten herauszulösen,
zumeist Krieg und Vertreibung.
Das Unwohlsein in der Fremde
Doch selbst wenn es den Leuten gelingt ihre Freunde und Lieben
mitzubringen, dann genügt das nicht. Wie wir gesehen haben benötigt
die Selbstverstänndlichkeit ein materielles Substrat. Dieses wird in
der Debatte von linker Seite gerne geleugnet. Nach dem Motto, wherever
I lay my hat, ther’s my home, wird suggestiv gefragt, was Heimat denn
eigentlich bedeuten soll, jeder fühle sich woanders zuhause, auch dies
könnre man nicht vorschreiben etc…So nimmt die Verwirrung der
Begriffe ihren Anfang. Die Idiome der Globalisten und der linken
Aktivisten als deren Büttel gleichen sich mehr und mehr an. Es wurde
dank Politischer Korrektheit im Ausdruck ein Neusprech entwickelt der
sich vorzüglich als lingua franca der Gleichmacher eignet. Hier geht
man mit missionarischem Eifer vor. Zentraler Glaubenssatz ist die
unterschiedslose Gleichheit und damit Austauschbarkeit Aller. Auch hier
der Verweis auf Manfred Kleine-Hartlages „Die Sprache der BRD“. Das
Buch erklärt im Einzelnen, wie das geht. Der Jargon der Frankfurter
Schüler eignet sich bestens um indigene Bedeutungen weg zu erklären. Den
Leuten wird also ihre Heimat abgesprochen, zunächst theoretisch, später
wird man dann sehen.
Dem können wir nun entgegnen, Heimat, das ist der Ort der
Selbstverständlichkeit.
Weiterführendes:
*Wer sich fragt, wie es zu einem Bündnis zwischen linken Aktivisten
und dem Kapital kommen kann, der mag mit Hannah Arendts vorsichtigem
Hinweis beginnen, daß es ja die Liberalen waren, die das Eigentum zum
Besitz und damit disponiblen Handelsobjekt verflüssigt haben. Hannah
Ahrendt in „Über die Revolution“.
1. Bausinger:, Hermann Jenseits des Eigensinns: Kulturelle
Nivellierung als Chance? In Kaschuba (Hg.):
Kulturen-Identitäten-Kulturen, Berlin 1995, S. 224
Literatur:
Znaniecki, Florian / Thomas, William I.:The Polish Peasant in Europe
and America, https://archive.org/details/polishpeasantine01thom
Erdheim, Mario Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit
Frankfurt a.M. 1982
Kaschuba, Wolfgang (Hg.): Kulturen-Identitäten-Kulturen, Berlin 1995,
Hannerz, Ulf: „Kultur“ in einer vernetzten Welt. Ebenda.
Arendt, Hannah
Über die Revolution
München 1982
Simmel, Georg: Die Großstädte und das Geistesleben, aus: Die
Großstadt. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung.
(Jahrbuch der Gehe-Stiftung Dresden, hrsg. von Th. Petermann, Band 9,
1903, S. 185–206) (Dresden)
Feuchtwanger, Lion: Der Jüdische Krieg. Frankfurt a. M. 1982
Kleine-Hartlage, Manfred. Die Sprache der BRD,Schnellroda 2015
Camus, Renaud: Revolte gegen den Großen Austausch, Schnellroda 2016